Millenniumberg- Müllberg oder Biotop?
Ende August 2024 erreichte den Stadtbezirksrat des Westlichen Ringgebiets eine Mitteilung des Ausschusses für Planung und Hochbau. Sie lässt Naturschützer aufhorchen, handelt es sich doch um den „Sachstand Millennium- Gelände“, konkret eine Bauvoranfrage, die den entstandenen Biotopstrukturen auf dem umstrittenen Millenniumberg gefährlich werden können und enorme Lärmbelästigungen für Anwohner des Madamenwegs, sowie benachbarte Gärtnern mit sich bringen dürfte.
Zur Beurteilung des Sachstands ist eine kleine Zeitreise notwendig. Viele Bürger der Stadtwissen nicht, dass das Millenniumgelände vor Jahrzehnten eine Tongrube war, die Herr Lindemann sen. 1961 bis 1973 an die Stadt verpachtete und dann als Hausmülldeponie diente. In der damaligen Zeit landeten dort neben normalem Hausmüll auch jede Menge giftige Abfälle.
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrtausends stellte man fest, dass aus der mit Hausmüll verfüllten Tongrube giftiges Sickerwasser austrat. Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt drohte. 1994 hatte der neue Besitzer Herr Lindemann jun. die Idee, ein Amphitheater auf der Müllkippe zu errichten, das gleichzeitig als Abdeckung dienen sollte. Hierfür erteilte ihm die Stadt 1995 eine Baugenehmigung.
Wie türmt man ein Amphitheater auf, sodass es von Anbeginn lukrativ ist? Die Antwort einfach, wie genial: Mit Bauschutt. Teilweise problematischer Bauschutt, wie radioaktiv belasteter vom Buchler-Gelände und andere gesundheitsschädigende Bauabfälle, nachweislich Asbest, konnten offenbar teilweise unkontrolliert abgeladen werden.
Es ist spannend, mit Zeitzeugen zu sprechen, die die Geschehnisse auf dem Gelände noch lebhaft in Erinnerung haben. Benachbarte Gärtner, aber auch Anwohner des Madamenwegs waren fortan durch permanenten Lärm von LKW und privaten Anlieferern sowie extremer gesundheitsschädigender Staubentwicklung empfindlich gestört. An Ruhe und Gemüseanbau war nicht mehr zu denken, zumal die angrenzenden Grundstücke vom wachsenden Berg verschattet wurden.
Im Jahr 2008 wurde man darauf aufmerksam, dass der Bauschuttberg enorm an Größe gewonnen hatte und bereits 100.000 Kubikmeter mehr als genehmigt aufgeschüttet waren. Das entspricht ca. 10.000 LKW-Ladungen. Der damalige Fraktionsvorsitzende der Linken, Udo Sommerfeld, hatte sich des Falles angenommen und stach damit in ein Wespennest, nicht nur den Berg, sondern auch die illegal geschaffenen Parkplätze am Ganderhals betreffend. Die Stadt hatte 2002 Herrn Lindemann bereits die Baugenehmigung für eine Veranstaltungshalle in Blechgaragenbauart nebst 238 Einstellplätzen auf dem Betriebsgelände genehmigt.
Diese waren offenbar nicht ausreichend hinsichtlich der genehmigten 800 Besucher der Halle. Herr Lindemann schaffte Abhilfe, indem er ohne behördliche Genehmigung außerhalb des Geländes eine Freifläche als Parkraum deklarierte. Nebenbei bemerkt wäre eine Halle der genehmigten Bauart heutzutage für die darin stattfindenden Musikveranstaltungen nicht mehr genehmigungsfähig, haben sich doch Lärmschutzverordnungen deutlich geändert.
Betont wird seitens der Behörde für Immissionsschutz, dass die Dezibelgrenzen eingehalten werden, was leider nicht vor unangenehmer Geräuschentwicklung schützt.
Von den Outdoorveranstaltungen, die dank Sondergenehmigung stattfinden dürfen, ganz zu schweigen. Dann entsteht eine unzumutbare Geräuschkulisse, sodass jeder Gartenfreund fluchtartig sein Grundstück verlässt, um dem Dröhnen der Bässe zu entkommen. Besonders betroffen sind Besitzer angrenzender Privatgrundstücke mit Wochendhäusern, Kleingärtner und Anwohner des Madamenwegs. Diese sind bei Veranstaltungen durch Verkehrslärm enorm belastet.
Wenn in absehbarer Zeit das Baugebiet Schölkestraße/Feldstraße fertiggestellt ist, kann ein weiteres deutlich erhöhtes Verkehrsaufkommen auf dem Madamenweg erwartet werden. Kehren wir zurück zum Berg und der Bauvoranfrage. Nachdem bis zum Jahr 2008 die Causa „Millenniumberg“ häufig Thema in der Braunschweiger Zeitung war (Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, CDU-Parteispenden, Sickerwasser enttarnt Müll, Verstoß gegen Baustopp), wurde es plötzlich ruhiger um den Berg.
Herr Lindemann zahlte eine Strafe in Höhe von 500.000 Euro und nahm etliche Anpflanzungen zur Renaturierung vor, auch um langfristig ein Abrutschen des Berges bei Starkregenereignissen zu verhindern. Wahrscheinlich rechnete niemand damit, dass sich in Folge der natürlichen Sukzession im Zusammenspiel mit den gepflanzten Bäumen und Sträuchern eine schützenswerte Biotopstruktur entwickeln würde, die nun ungestörten Lebensraum für unzählige Vogelarten, Insekten und andere Tiere bietet. Das Wurzelwerk der Sträucher verhindert das Abrutschen des Bergs. Die Bauvoranfrage sieht umfangreiche Nutzungsänderungen des Berges vor.
Von einer Minigolfanlage ist die Rede, einem Aussichtsturm, Wanderwegen und einer Sommerrodelbahn. Das entstandene ökologische Gefüge auf dem Berg wäre empfindlich gestört, wenn nicht gar zerstört. Tiere, die dort ihren Rückzugspunkt gefunden haben, verlieren durch eine Öffnung des Berges für die Allgemeinheit ihr Habitat.
Mit deutlich erhöhtem Lärmpegel durch zusätzliches Verkehrsaufkommen auf dem Madamenweg ist zu rechnen. Einhergehend mit höherer Abgasentwicklung, Feinstaubbelastung und einer nur zu erahnenden höheren Geräuschkulisse, die durch die geplanten Freizeiteinrichtungen entstehen würde.
Beim Blick in den mehr als 110 Hektar großen öffentlich zugänglichen Teil des angrenzenden Westparks stellt sich die Frage, ob dieser nicht ausreichend Wanderwege, Spielplätze und weitere Freizeitmöglichkeiten bietet. Ein Baumlehrpfad ist bereits vorhanden, aber auch andere pädagogisch wertvolle Projekte, wie z.B. das Löwenlabyrinth mit Aussichtsturm. Weitere öko-pädagogische Projekte seitens der Stadt sind längst in Planung. Eignet sich der Westpark nicht bei weitem besser
für ein Schulwaldprojekt oder Outdoorklassenzimmer, als ein Berg, der noch vor wenigen Jahren als Giftberg bezeichnet wurde?
Nun sollen dort Kinder spielen und Gärten anlegen? In einer Umgebung, in der man in Zeiten von Grundwasserbeprobungen an verschiedenen Messstellen erschreckende Werte festgestellte. Spitzenreiter war 2007 an einer Messstelle die im Vergleich zu 1998 um 2541% erhöhte Aluminiumkonzentration. Aber auch Bor, daszu den starken Umweltgiften zählt, konnte in enormer Konzentration nachgewiesen werden (Quelle: Überwachungsbericht 2007 der Abt. Umweltschutz).
Die Beeinträchtigung der kindlichen Intelligenzentwicklung ist nur eine Folge im Kontakt mit Bor. Aus dem skandalträchtigen Millenniumberg ist ungeachtet der Tatsache, was in und unter ihm schlummert, in
den vergangenen Jahren ein wunderschönes grünes Biotop geworden,
das man keinesfalls Störungen von außen unterwerfen darf. Hier liegt die Chance für den Betreiber aus dem negativ behafteten Thema „Müllberg“ tatsächlich etwas positives zu schaffen und keine weiteren Störfaktoren für Flora, Fauna, Anwohner und Gärtner zu kreieren.
Überlassen wir den Berg sich selbst und bewundern in einigen Jahren, wozu die Natur in der Lage ist.
Ein Beitrag von Kerstin Smerecansk für Die Neue Westpost.