„Pflanzen mit Migrationshintergrund“ oder „Wo Erbsen, Kirschen und Spinat wirklich herkommen“
Schön, dass wir in der Blumenstraße den „Garten ohneGrenzen haben“. Dort gärtnern Senioren mit Migrationshintergrund gemeinsam auf kleinen Parzellen. Ein Angebot an Menschen aus aller Welt. Hierfür hat die Stadt Braunschweig ein etwa 2.500 qm großes Gelände zur Verfügung gestellt. Die Teilnehmer können hier kostenfrei Obst, Gemüse, Blumen und Kräuter pflanzen und ernten.
Auch viele Nahrungsmittel, die wir heute für urdeutsch halten, stammen aus fernen Ländern. Die Heimat der Erbse ist Syrien, Kirschen kommen aus Kleinasien und die Gurke stammt vermutlich aus Indien, wo sie seit 1500 vor Christi an den Südhängen des Himalaya kultiviert wird. Seit Jahrtausenden bestimmt die Migration von Pflanzen unseren Speiseplan und der wäre ohne die eingebürgerten Exoten ziemlich arm. Es gäbe keinen Salat und keine Tomaten, keine Pflaumen, keinen Kaffee und keine Kartoffeln.
Den Beginn der Geschichte findet sich in der Entwicklung des Menschen vom Jäger und Sammler hin zum sesshaften Ackerbauer. Hierbei spielen Nutzpflanzen eine entscheidende Rolle. Sie ermöglichten den Menschen, sich unabhängig von der Jagd zu machen und Vorräte anzulegen– nur so konnten Städte und unsere moderne Zivilisation entstehen.
Viele der heute heimischen Getreide stammen aus Kleinasien. Als die Wiege der Zivilisation wird der sogenannte „fruchtbare Halbmond“ genannt. Dieser erstreckte sich vom heutigen Iran über den Irak bis zur Mittelmeerküste von Israel, Palästina und Syrien. Hier erfanden die Menschen den Ackerbau und entwickelten erste Hochkulturen.
Den Weg fanden viele Nutzpflanzen z. B. entlang der Donau über Ungarn in jene Gegenden, wo heute Deutschland und Österreich liegen. Getreide, Linsen und Erbsen sowie Lein – für die Herstellung von Öl. Durch die Römer wanderten die nächsten Pflanzen nach Europa ein. Viele neue Gemüsesorten sowie Gewürze wurden heimisch. Aus Nordafrika kamen Kürbis, Mangold, Spinat oder Melonen nach Europa. Aus dem Mittelmeerraum Dill, Koriander, Petersilie oder Oliven.
Ach, irgendwie hätte man ja gedacht, dass der Apfel „typisch deutsch“ ist. Aber Obst, Pfeffer und Co. kamen über die Seidenstraße, denn die Römer pflegten einen intensiven Handel entlang der Seidenstraße, die das Mittel-
meer mit Indien und China verband. Pflaumen, Äpfel, Birnen, Kirschen, Pfirsiche und Feigen stammen ursprünglich aus Fernost – sie wuchsen einst vermutlich im Grenzgebiet zwischen China, der Mongolei und Russland, am Rande der antiken Karawanenstraßen. Aus Indien kamen Gewürze wie Pfeffer – aber auch Gurken wuchsen ursprünglich an den Hängen des Himalayas.
Die Geschichte der Kartoffel – ja die kennt ja jeder. Aber aus der neuen Welt kamen im 15. Jahrhundert auch Tomaten und Mais mit. Die Kartoffel bewirkte in Europa nicht nur kulinarisch eine Veränderung. Wissenschaftlern zufolge war sie Ende des 19. Jahrhunderts der Wegbereiter der Industriellen Revolution. Die Kartoffel sättigte Arbei-
ter, die in Massen vom Land in die Städte zogen – sie wollten in den Fabriken Arbeit finden. Das Gemüse bewährte sich schnell als günstige, stärke- und nährstoffreiche Mahlzeit und war einfach in großen Mengen anzubauen.
Ich bin in meiner Kindheit noch ohne Brokkoli und Auberginen aufgewachsen, beide sind aus der heutigen Küche nicht mehr wegzudenken. Und die Welt ist weiterhin in Bewegung. So werden aktuell werden in Süddeutschland schon Sojabohnen und Amaranth angebaut.
Erstaunlich zu sehen, dass viele unserer „heimischen“ Obst- und Gemüsesorten eigentlich ganz wo anders her kommen. Ohne solche pflanzlichen Migranten fehlte auf unseren Tellern nicht nur die Vielfalt und Buntheit – auch unsere Zivilisation hätte sich wahrscheinlich anders entwickelt.
Neben dem Gärtnern finden im „Garten ohne Grenzen“ zahlreiche Veranstaltungen statt. Schauen Sie doch mal vorbei.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Sewella
Bezirksbürgermeisterin
Sanierungsbeirats Vorsitzende